Der 12-Zylinder

Im „Fuhrpark“ der Freien Narrenzunft Wolfach befindet sich neben der fahrbaren Weibermühle der Alden Rungunkeln, der Landsknechtburg mit Schlepper, dem Wohlaufbett, verschiedene Handkarren und Leiterwagen auch ein recht altes Automobil.

Hierbei handelt es sich um ein über 80jähriges Fahrzeug der Marke mit dem Stern aus Stuttgart-Untertürkheim. Der mit Benzin betriebene Oldtimer der damaligen Daimler-Benz AG hat einen Reihensechszylinder mit 2,213 Liter Hubraum und brachte ursprünglich mal 55 PS auf die Straße.

Laut der Mercedes-Benz AG handelt es sich bei dem Fahrzeug um einen Typ 230 (W 143) aus der Baureihe von 1936-1941 und ist eines von 1.950 im Zeitraum von Mai 1936 bis Juni 1937 hergestellten Fahrzeugen dieser Baureihe aus Mannheimer Produktion. Detaillierte Informationen zum Fahrzeug selbst sind leider nicht mehr vorhanden, da die Auftragsbücher des Werkes Mannheim im Zweiten Weltkrieg mit dem Werk Mannheim zerstört wurden.

Die Original Fahrzeugfarbe war schwarz. Die Anordnung der hinteren Türen mit der so genannten Selbstmörderöffnung und die verschiebbare Glasscheibe zwischen Fahrer und Fahrgastraum lassen darauf schließen, dass es sich bei der Karrosserieform um eine so genannte Pullmann-Limousine handelt.

Die ersten Kilometer legte das Fahrzeug in der Nachbargemeinde Schapbach zurück und wurde während der Nazizeit von der Kommandantur in Wolfach als Dienstfahrzeug genutzt. Nach dem zweiten Weltkrieg fand das Auto seinen Weg wieder zurück nach Schapbach und wurde dort, mit einer Motorspritze ausgestattet, als Feuerwehrfahrzug eingesetzt. Aus dieser Zeit stammt auch noch das am Fahrzeug angebrachte Nummernschild BD 10-001 aus der ehemaligen französischen Besatzungszone des Landes Baden, das später dann im neuen Bundesland Baden-Württemberg aufging.

In den 60er-Jahren wurde das Fahrzeug außer Dienst gestellt und sollte eigentlich Mangels Folgenutzung verschrottet werden. Der Inhaber der Wolfacher Citroen-Werkstatt und Narrenrat (und späterer Ehrennarro) Werner Lorenz nutzte die Gunst der Stunde kaufte den „Schrott-Daimler“ der Wolfacher Wertstoff- und Schrotthandlung Hirt zum Preis von 50,- Deutschen Mark ab.

Unter Federführung des Autohauses Lorenz wurde das nun ehemalige Schapbacher Feuerwehrfahrzeug entsprechend närrisch „aufbereitet“. Neben einer rundum bunten Lackierung mit Narrensprüchen und Bildern wurde dem Fahrzeug ein Teil des Blechdaches vom Fahrgastraum herausgeschnitten. Mehr oder weniger also ein Umbau zum Teil-Cabrio.

So manchem Oldtimerliebhaber blutet noch heute das Herz beim Anblick dieser baulichen Veränderung. Würde das Fahrzeug doch bei ursprünglichem und gut erhaltenem Zustand heutzutage sicher einen 6-stelligen Verkaufserlös erzielen. Hier gilt aber ganz festzuhalten: ohne das Zutun von Werner Lorenz gäbe es dieses Auto heute überhaupt nicht mehr und es wäre für immer verloren gegangen. Ein klarer Fall von: der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Also alles richtig gemacht!

Auf der zweigeteilten Blechabdeckung des Motorraums wurden auf jeder Seite 6 Köpfe mit Zylinderhut aufgemalt. Diese insgesamt 12 Personen mit Zylinder sind der eigentliche Grund, warum auch heute noch das Fahrzeug beim kleinen Narrenrat liebevoll Zwölfzylinder genannt wird. Dies hat also nichts mit der Motorbeschaffenheit oder dem Hubraum zu tun, wie man sonst vielleicht vermuten könnte.

Weiter wurde der „Zwölfzylinder“ baulich soweit umgerüstet, dass nur noch eine Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h gefahren werden kann. Dies hatte den Zweck, dass für das Fahrzeug keine KfZ-Zulassung und keine TÜV-Überprüfungen mehr notwendig wurden. Diese Geschwindigkeitsbegrenzung hat dann aber auch zur Folge, dass das Auto eigentlich nur in Wolfach eingesetzt werden kann.

Die Freie Narrenzunft Wolfach nutzt den „Zwölfzylinder“ hauptsächlich an den Umzügen als Unterstützung für fußlahme Narrenräte und am Kinderumzug am Fasnet-Dienstag als Zugfahrzeug für den Bretzelhans. Anbei einige Bilder, wie das Fahrzeug ursprünglich mal ausgesehen haben könnte, dann die närrische „Aufbereitung“ nach der Rettung vor der Verschrottung und zu guter Letzt das heutige Aussehen nach der Restaurierung in den Jahren 2016 bis 2019.

Bilderquelle: autoevolution.com, mercedes-benz-publicarchive.com, Freie Narrenzunft Wolfach