galerie:ortenau – Wolfacher Fasnet

Hier das exklusive Interview mit unserem Narrenvater Hubert “Vitus” Kessler in der galerie : ortenau – Das Magazin (ab sofort an allen bekannten Verteilerstellen kostenlos erhältlich)

“Bei uns kann jeder mithopsen” – der Wolfacher Narrenvater Hubert Kessler im Interview

Wolfach im Kinzigtal zählt zu den Hochburgen der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. galerie:ortenau stattete dem malerischen Städtchen einen Besuch ab und sprach mit Narrenvater Hubert „Vitus“ Kessler über die Fastnacht früher und heute, über Kindheitserinnerungen und Gänsehautmomente

Herr Kessler, was macht die Fastnacht in Wolfach besonders?

■ Es ist vor allem die Vielfalt der Häser und die Vielfalt der Veranstaltungen – das ist einzigartig. Wir haben außerdem eine reine Straßenfastnacht, keine Bälle. Bei uns findet alles auf der Straße und in den Wirtschaften statt. Das wird natürlich immer schwieriger, weil immer weniger Wirtschaften zur Verfügung stehen. Was auch eine Besonderheit in Wolfach ist: dass wir eine freie Narrenzunft sind. Bei uns kann jeder mitmachen und mithopsen, er muss nur ein entsprechendes Häs haben. Da frägt kein Mensch nach, ob der Mitglied ist oder nicht.

Die Wolfacher Fastnacht feierte bereits 200-jähriges Jubiläum. Wie kamen die Bräuche zustande?

■ Der ein oder andere Brauch hat sich sicherlich aus einer Laune heraus entwickelt. Man kann nicht einfach einen „Wohlauf“ oder einen „Nasenzug“ erfinden. Das sind zwei uralte Umzüge, die dann immer wieder weiterentwickelt wurden. Bei den Häsern ist es wieder etwas anderes. Das Uniformierte, also dass zum Beispiel alle Schellenhansel gleich aussehen, das ist erst zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg entstanden. Vorher haben die Leute gar nicht das Geld gehabt für so aufwändige Häs, da hat man vielleicht so was Ähnliches angezogen.

Welcher ist der älteste dokumentierte Fastnachtsbrauch in Wolfach?

■ Das ist die „Altweibermühle“, unser Festspiel, die wird nachweislich seit 230 Jahren aufgeführt. Aber ich bin davon überzeugt, dass es den Nasenzug vorher auch schon gab, der ist seit 1886 dokumentiert.

Da ziehen die Männer mit unterschiedlichsten aufgesetzten Nasen durch die Stadt. Welche Bedeutung hatte das?

■ Da gibt es unterschiedliche Interpretationen. Welche mir am wahrscheinlichsten vorkommt: Der Nasenzug geht ja durch sämtliche Winkel und Gassen und Beizen und findet statt kurz bevor die Fastnacht aufhört, am Dienstag. Da gucken sie dann nochmal in jedem Winkel, ob sie nicht doch noch Fasnet irgendwo finden und vertreiben können. Das ist, denke ich, der Hintergrund.

Es gibt in Wolfach auch eines der seltenen Häs mit Blechmaske

■ Der Spättlehansel. Der ist aber erst in den 1980er-Jahren wieder rausgekommen. Da gab es eine überlieferte Maske bei uns im Museum. Es war Josef Krausbeck, ein Historiker, der sehr rührig gewesen ist und etliche unserer Hansel wieder zum Leben erweckt hat. Und wissen Sie: Wir hätten noch viel mehr Hansel – es ist Wahnsinn!

Muss man alte Bräuche auch modernisieren und für das Heute anpassen? Haben Sie Beispiele?

■ Zum Beispiel der Mehlwurmhansel. Früher war das eigentlich der Hansl für die armen Leute. Da hat man ein altes Leintuch genommen und daraus den Hansel genäht. Das Gesicht ist nur mit Speckschwarte eingerieben worden und dann hat man in die Mehlschublade rein geblasen und der Mehlstaub ist hängen geblieben. Da hat es keine Holzmasken gegeben. Heute ist der Mehlwurmhansel aus einem festen, samtartigen Stoff und ist eigentlich wie ein Till Eulenspiegel. Das war so ein Punkt, wo wir gesagt haben: Wir müssen den Hansel neu gestalten, sonst stirbt er aus. Oder das Würstchen-Schnappen für die Kinder. Das können Sie heute aus hygienischen Gründen nicht mehr machen. Jetzt verteilen wir stattdessen jeden Fasnet-Dienstag 1000 Brezeln und 1000 Würstchen an die Kinder. Und auch die Bräuche und die Festspiele sind ja modern geworden, die sind an der Zeit, das lokalpolitische Geschehen wird immer mit aufgenommen.

Stichwort Nachwuchs – Wie stehen die jungen Leute zur traditionellen Fastnacht?

■ Toll finde ich, dass man in Wolfach von klein auf in die Fasnet reinwächst. Wir haben die jungen Leute hier, bis sie 14, 15 Jahre alt sind. Und dann gehen sie in die Umlandgemeinden, da gibt es dann die Partys mit DJ und das machen wir in Wolfach eben nicht. Also manchmal kommen wir auch um die Musik aus der Röhre nicht herum, aber dass man jetzt einen Abend hat mit speziell „Bumm-Bumm-Musik“ – so nenne ich das immer –, das haben wir nicht. Und da sind die Jungen dann erst mal weg. Komischerweise, wenn sie dann 23, 24 Jahre alt sind, da sind sie dann wieder da. Und sobald sie selber Kinder haben sowieso.

Gibt es eine eindrückliche Erinnerung aus Ihrer eigenen Kindheit?

■ Also ich war immer eine Hex, das war für mich das Größte. Man durfte ja in dem Jahr, in dem man Weißsonntag hatte, keine Fastnacht machen, das hat der Pfarrer verboten. Da hab ich mich natürlich nicht dran gehalten. Ich hab zu meiner Mutter gesagt: „Wenn ich meine Maske anhab, sieht ja keiner, dass ich das bin!“ Sie hat dann schwer gegoscht mit mir, aber das war mir egal.

Was ist Ihr persönlicher Gänsehaut-Moment bei der Wolfacher Fastnacht?

■ Was mich immer fasziniert, ist der Wohlauf. Wenn ich mit dem Wohlauf durch das Schlosstor ins Städtle reinlaufe und es schneit leicht, alles ist weißgepudert, da könnt‘ ich grad …das ist eine unheimlich tolle Stimmung!

(Interview: Tina Thiel)